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IKONOSTASIA – Ein Zeichen von Frömmigkeit

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2018-08-20 2022-02-28 20.08.2018
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Ikonostasian

Eine kleine Straße schlängelt sich den Berg hoch ins nächste Dorf. Immer wieder stehen an der Seite kleine Kirchen, besonders an den gefährlichen Kurven scheinen sie zu stehen. Jeder, der schon einmal motorisiert in Griechenland unterwegs war, kennt sie. Sie stehen fast an allen Arten von Straßen. Seien es nun die kleinen Bergsträßchen zu abgelegenen Dörfern, stark befahrene Autobahnen oder Fußwege in den größeren Städten. Überall lassen sich diese Gebilde finden, wo sie ihren sonderbaren Effekt ausüben. Sieht man sie, geht man schon fast automatisch mit seinem Fuß vom Pedal weg oder hält für einen winzigen Augenblick inne. Sie üben einen sonderbaren Zauber aus, von dem man nicht so recht weiß, ob er sich gut oder schlecht anfühlt. Man weiß, dass sie für irgendjemanden wichtig sind. Vielleicht für Hinterbliebene eines Unfalls? Vielleicht sind sie aber auch ein Zeichen von Frömmigkeit oder der Dank für ein geschenktes Leben.

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Ikonostasia

Diese kleinen Kirchen mit den vielen Namen und vielen Geschichten sind in Griechenland einzigartig und zwar weltweit. Nur in Griechenland finden sie sich in dieser Form oder genauer Formenvielfalt wieder. Manchmal sind es prächtige, gepflegte Marmorbauten, die exakte Duplikate von byzantinischen Kirchen darstellen, nur eben in Miniaturformat. Dann brennt meistens ein kleines Öllämpchen darin, das mit dem ewigen Licht der Kirche entzündet wurde. Vielleicht ist auch noch eine Ikone darin befestigt oder das Porträt eines jungen Menschen. Manchmal sind es aber auch kleine rostige Metallkästchen, an deren Spitze man gerade noch so ein Kreuz erkennen kann. Meist wirken sie wie vergessene Monumente, aber auch hier kann man am Abend durch die milchigen Scheiben noch hin und wieder das Leuchten der Flamme sehen und sich denken, dass vor nicht allzu langer Zeit eine alte Frau des Weges gekommen ist, das Licht entzündet und im Stillen ihr Gebet gesprochen hat. 

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Ikonostasia

Die Griechen haben viele Namen für die kleinen Kirchen. Meist werden sie Ikonostásia genannt, aber auch Proskinitária oder Kantylákia. Die Vielfalt der Begriffe zeigt schon, dass viele Geschichten hinter den Ikonostasen stecken und sie sich nicht auf eine Funktion beschränken lassen. Gemeinsam haben sie, dass sie immer am Weg sind, nicht immer an großen Straßen, manchmal auch im Freien, in Wald und Flur. Aber sie sind an einer Stelle, an der man nicht verweilt, einer Stelle, zu der man erst kommen muss. Doch was sind das nun für Geschichten, die hinter den Ikonostasen stehen?

Freut euch allezeit, betet ohne Unterlass, in allem sagt Dank; das ist der Wille Gottes, in Christus Jesus, für euch.
(1. Thess 5,16-18)

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Ikonostasia

Man darf nicht vergessen, dass die Griechen ein historisch sehr gebeuteltes Volk sind. Sie haben unter vielen Besatzungen gelitten und sind oft unterdrückt worden. Immer wieder kam es zu Situationen, welche die Identität des griechischen Volkes bedroht haben. In diesen Zusammenhängen ist es für die Identität einer Nation sehr wichtig, Zusammenhalt zu zeigen und zu spüren.
Zu diesen Identifikationsmerkmalen gehört beispielsweise eine gemeinsame Geschichte, die auf die alten Griechen zurückgeht, aber auch eine gemeinsame Religion. Es verwundert also nicht, dass noch immer 97% der Griechen den orthodoxen Kirchen angehören. Diese religiöse Zugehörigkeit hat sich über Jahrhunderte gefestigt und ist noch immer in der alltäglichen Spiritualität der Griechen spürbar.

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Ikonostasia

So war natürlich auch das Gebet und der Dank ein zentrales Moment des griechischen Lebens, lange bevor Mobilität und Infrastruktur in das moderne Leben Einzug genommen haben. So gab es immer wieder Menschen, die Kapellen errichtet haben. Aber nicht jeder konnte sich eine solche leisten und die Wege zu größeren Kapellen und Kirchen waren oft beschwerlich oder gefährlich. So gab es für den einfachen Mann die Möglichkeit, kleine Schreine zu bauen, welche oft nah am Feld oder an Wegen waren, bei denen er sein tägliches Gebet sprechen konnte, ohne lange Wege auf sich nehmen zu müssen. 

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Ikonostasia

Hier findet sich der Ursprung der Ikonostasia am Straßenrand, als einfache Schreine, die das Gebet ermöglichen. Auch in anderen Ländern, wie beispielsweise Deutschland finden sich ähnliche Konstrukte. Als Bildstock oder Marterl bekannt, gibt es an vielen Stellen überdachte Kreuze, Bilder und Nischen, die als Zeichen der Volksfrömmigkeit in der Landschaft stehen. Verwendet werden oft Materialien, die in der näheren Umgebung zu finden sind. Zusätzlich hat jede Provinz auch ihre Eigenheiten. Dies führt zu der unglaublichen Variation, in welcher die griechischen Ikonostasen anzutreffen sind. So werden sie auf Kreta oft in mühevoller Kleinarbeit eigenhändig von den Stiftern erbaut und ähneln häufig schön geschmückten orthodoxen Kirchen. Auch das Innenleben wird mit Bedacht ausgesucht, so dass Ikonen und Heiligenbilder sorgfältig aufgebaut sind und das Kantylaki, das ewige Licht, zentral im Raum schwebt. Aber es kann auch schon mal vorkommen, dass man einer umgebauten Telefonzelle begegnet, die mitten in der Landschaft steht.

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Ikonostasia

Während die Möglichkeit zu Dank und zum Gebet zwar den Beginn der Ikonostasen darstellt, werden sie heutzutage meist anders gebraucht. Sie sind ein Symbol der Erinnerung und menschlichen Leids geworden. Die mittlerweile häufigste Verwendung ist voller Emotionen zum Gedächtnis an geliebte Menschen. Die kleinen Kirchen sind meist an den Stellen zu finden, an denen ein Menschenleben verloren gegangen ist. Die Straßen in Griechenland sind noch immer sehr gefährlich. Zwar ist die Zahl der Verkehrstoten rückläufig, aber leider liegt Griechenland noch immer 50% über dem europäischen Schnitt. So verwundert es nicht, dass sich die Straßen immer mehr mit den kleinen Häusern füllen. 

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Ikonostasia

Gleichzeitig haben die Heiligkeit der Ikonostasen und der Respekt, der den kleinen Gebäuden entgegengebracht wird, in keiner Weise abgenommen. Jeder darf wann und wo er will eine kleine Kirche errichten. Und wenn sie einmal steht, so scheint es, wird sie auch nicht mehr entfernt. Und wenn man dafür den Asphalt des Gehweges um den Fuß der kleinen Kirche herumplanieren muss.

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Ikonostasia

Die Verbindung von Volksfrömmigkeit und modernem Leben ist so groß, dass nicht nur die leidvollen Erfahrungen Raum bekommen, sondern auch glückliche Ausgänge von Unfällen ihren Platz an der Straße finden. So werden die kleinen Kirchen nicht nur dort errichtet, wo ein Menschenleben erloschen ist, sondern auch dort, wo eines in der Welt bleiben durfte. So wie der Tod sein Symbol bekommt und die Ikonostasen als Erinnerung und Mahnmal zugleich ihren Platz finden, so stehen sie auch als Symbol für das Leben. Eine Erinnerung, dass das Leben wertvoll ist und sich in einem Augenblick alles ändern kann.

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Ikonostasia

Wenn man also eine Ikonostase am Straßenrand sieht, sei es nun, weil man gerade daran vorbeischlendert oder sei es, weil man sie durchs Autofenster sieht, dann lohnt es sich immer, den Atem kurz anzuhalten. Es war jemandem wichtig, dass genau an dieser Stelle ein Stück Geschichte steht. Denn es wurde hier aufgebaut, vielleicht als Dank, vielleicht als Mahnung, aber mindestens erung, für die es sich lohnt, den Weg auf sich genommen zu haben.

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